Notenfreie Beurteilungsanlässe

Digitale Entwicklungen stellen Schulen vor die Aufgabe, Lernprozesse und deren Beurteilung neu zu denken. In diesem Zusammenhang rückt die Frage nach der Rolle von Noten verstärkt in den Fokus. Im Rahmen eines Innovationsprojekts an der PHBern ist die nachfolgende praxisnahe Umsetzungshilfe entstanden. Sie zeigt, wie sich notenfreie Beurteilungsanlässe im Fremdsprachenunterricht gestalten lassen.

Diese Umsetzungshilfe liefert für die Bereiche Planung, Raster, Anschlusshandlungen sowie Differenzierung und Endbeurteilung wichtige Hinweise und zeigt Beispiele dazu auf.

Unterrichtsplanung

Eine wirksame Beurteilung setzt bereits bei der Unterrichtsplanung an: Ausgehend von den angestrebten fachlichen und überfachlichen Kompetenzen (gemäss Lehrplan21) werden differenzierte Lernziele formuliert und Aufgaben darauf abgestimmt.

Fachliche Kompetenzen gemäss Lehrplan 21
Die Kompetenzen orientieren sich an den sechs Kompetenzbereichen des Lehrplans 21. Sie werden in «Ich kann …»-Formulierungen für die Schülerinnen und Schüler ausgedrückt:
  • Hören
  • Lesen
  • Sprechen
  • Schreiben
  • Sprache im Fokus
  • Kulturen im Fokus
So wird transparent, welche Fähigkeiten die Lernenden Schritt für Schritt entwickeln und nachweisen können.
Ich kann einfache mündliche und schriftliche Texte zu vertrauten Themen planen.
Ich kann mich in einfachen Alltagssituationen verständlich machen (Begrüssen, Fragen stellen, kurze Antworten geben).
Ich kann kurze Texte zu einfachen Themen verfassen (z.B. sich selbst vorstellen, einen Tagesablauf schreiben, etwas einkaufen, ...)
Beispiel: Fachliche Kompetenzen, Zyklus 2 - Französisch

Ich kann den Hauptinhalt und wichtige Details eines englischen Textes zu einem bekannten Thema verstehen.
Ich kann zentrale Aussagen und relevante Informationen in einem Text markieren und herausschreiben.
Ich kann persönliche Eigenschaften einer Person aus einem Text erkennen und diese mit Beispielen belegen.
Beispiel: Fachliche Kompetenzen, Zyklus 3 - Englisch
Überfachliche Kompetenzen gemäss Lehrplan21
Ich kenne verschiedene Strategien und Techniken zum Wortschatzerwerb und kann reflektieren und entscheiden, welche mir am besten zusagt.
Ich erkenne grammatikalische Strukturen in einem Text und kann diese für das Verständnis nützen.
Ich kann Lesestrategien anwenden, um einen französischen Text zu verstehen (Bilder, Zahlen, Parallelwörter, bekannter Wortschatz, boîte de traduction).
Beispiel: Überfachliche Kompetenzen, Zyklus 2 - Französisch

Ich kann Lesestrategien wie Skimming, Scanning und das Erkennen von Schlüsselwörtern anwenden.
Ich kann meine Strategien für das Hörverständnis reflektieren, mir meiner Stärken und Schwächen bewusst werden und meine nächsten Ziele formulieren.
Ich kann meine Strategien für das Hörverständnis reflektieren, mir meiner Stärken und Schwächen bewusst werden und meine nächsten Ziele formulieren.
Beispiel: Überfachliche Kompetenzen, Zyklus 3 - Englisch
Lernziele differenzieren
Lernziele werden durch abgestufte «Ich kann …»-Formulierungen transparent gemacht. Ergänzungen mit Adverbien wie angemessen, differenziert oder selbstständig ermöglichen eine präzisere Beschreibung. Dabei wird stets auf Sprachsensibilität geachtet, sodass die Lernenden die Ziele klar verstehen und für ihr eigenes Lernen nutzen können.
Zyklus
Level 1
Level 2
Level 3

2

Grund-anforderungen

mittlere Anforderungen

erweiterte Anforderungen

2

Grund-anforderungen

erweiterte Anforderungen

Cell

3

Realstufe

Grund-anforderungen

erweiterte Anforderungen/
Grund-anforderungen


Cell

3

Sekundarstufe


erweiterte Anforderungen

Zyklus
Level 1
Level 2
Level 3

2

Du kannst mit einfachen Worten über dich selber sprechen.

ODER

 Du kannst Esswaren benennen.

Du kannst wichtige Informationen über dich und vertrauten Personen geben
ODER
Du kannst benennen, welche Esswaren du magst und welche weniger.

Du kannst wichtige Informationen über dich geben und deinen Tagesablauf beschreiben.
ODER
Du kannst zudem die Esswaren auf einfache Art beschreiben.

Beispiel: Lernziele differenzieren, Zyklus 2 - Französisch

Zyklus
Level 1
Level 2
Level 3

3

Realstufe

Ich kann den groben Inhalt eines kurzen, einfachen englischen Textes zu einem bekannten Thema wiedergeben.

Ich kann den Hauptinhalt und mehrere wichtige Details eines englischen Textes zu einem bekannten Thema verstehen und mündlich oder schriftlich zusammenfassen.


3
Sekundarstufe

Cell

Ich kann den Hauptinhalt, wichtige Details und auch implizite Informationen eines komplexeren englischen Textes zu einem bekannten Thema erkennen und kritisch einordnen.

Aufgaben formulieren
Aufgaben werden formuliert oder aus dem Lehrmittel ausgewählt und bei Bedarf adaptiert, dass sie den differenzierten Lernzielen entsprechen. Durch eine klare Visualisierung wird sichtbar, welche Aufgabe welchem Niveau zugeordnet ist. So können die Schülerinnen und Schüler bereits bei der Aufgabenwahl individuell arbeiten und ihren Lernprozess gezielt steuern.
Aufgaben 
Formative Beurteilung
Zur Förderung des Lernprozesses wird die formative Beurteilung von Anfang an mitgeplant. Sie umfasst verschiedene Formen wie Selbstreflexion, Feedback zwischen Lehrperson und Lernenden sowie Peer-Feedback.
Förderorientierung
Rückmeldung sollen vor allem der Förderung des Lernens dienen. Dazu werden gezielt Anschlusshandlungen geplant, sodass die Ergebnisse der Beurteilung direkt in die Weiterarbeit einfliessen. Nach dem Motto «don’t do more assessments, do more with assessments» soll die Nutzung von Rückmeldungen im Zentrum stehen.
Sprachsensibilität beachten 
Es gilt stetes auf die Sprachsensibilität zu achten. Dazu gehören eine einfache Sprache, visuelle Unterstützung sowie Hilfen wie Satzstarter, Chunks und Reflexionshilfen mit Lücken.

Raster

Ein gut gestaltetes Raster macht Erwartungen und Lernziele für die Lernenden sichtbar. Es orientiert sich direkt an den Kompetenzen, verwendet positive und sprachsensible Formulierungen und unterscheidet klar zwischen verschiedenen Niveaus. Visualisierungen, Piktogramme und Platz für Selbst- und Peerbeurteilung stärken die Orientierung. So wird das Raster zu einem Werkzeug, das Transparenz schafft, Selbststeuerung fördert und den Lernprozess aktiv begleitet.

Folgende Punkte sind beim Erstellen eines förderorientierten Rasters zu beachten:

Transparenz
Es gilt, Beurteilungsraster so zu gestalten, dass sie für die Lernenden sprachlich und inhaltlich alters- und stufengerecht verständlich sind. Die Kriterien orientieren sich direkt an den Lernzielen und Kompetenzen, sodass für die Schülerinnen und Schüler klar erkennbar ist, was sie können müssen. Wo sinnvoll, können Lernende auch beim Auswählen von Kriterien mit einbezogen werden.
Kompetenzorientierung

Im Zentrum steht, was die Lernenden können – nicht, was ihnen fehlt. Die Kompetenzen werden positiv und konstruktiv formuliert und sind in den verknüpften Aufgaben für die Schülerinnen und Schüler klar erkennbar.

Differenzierung
Verschiedene Anforderungsniveaus sollen klar erkennbar sein und durch abgestufte Kriterien transparent werden. Ergänzend bietet ein offenes Kriterium Raum für Wertschätzung und ein zusätzlicher Bereich ermöglicht persönliche Kommentare.
Selbstbeurteilung
Es sollen Selbst- und Peereinschätzungen vorgesehen werden. Zudem soll eine visuelle Gestaltung mit Piktogrammen und Farben die Orientierung erleichtern und eine Selbstbeurteilung für die Lernenden zugänglicher machen.
Individualisierung/Selbststeuerung
Es soll ein Raster gestaltet werden, das den Lernenden ermöglicht, eigenständig auf ihrem Niveau zu arbeiten. Dazu müssen die Niveaus klar voneinander getrennt sein und die Formulierungen so einfach, dass sie leicht verständlich sind.

Mit Hilfe des Rasters sollen die Lernenden ihren Lernprozess besser einschätzen und mitgestalten können. Im Raster soll ersichtlich sein, welches das höchste Niveau ist, das erreicht werden kann. Idealerweise wird auch ein Weg aufgezeigt, wie dieses Niveau erreichbar ist – etwa indem das Raster mit angepassten Aufträgen hinterlegt wird.

Zusätzlich soll eine Spalte vorgesehen werden, in der die Lernenden ihre nächsten eigenen Schritte festhalten können.
Diagnose/Förderung

Es soll ein Raster gestaltet werden, das eine Übersicht über Diagnose und Fördermassnahmen gewährleistet. Dazu könnten je eine Spalte für Diagnose und Förderung integriert werden. So soll nicht nur der aktuelle Lernstand sichtbar werden, sondern das Raster auch direkt mit den nächsten Lernschritten verknüpft sein. Auf diese Weise soll das Raster zu einem individuellen Lernbegleiter werden und nicht nur als Übersichts- oder Kontrollinstrument dienen.

Anschlusshandlungen

Um die Beurteilung förderorientiert zu gestalten, lohnt es sich, gezielt Anschlusshandlungen einzuplanen. Rückmeldungen werden zu Impulsen für individuelle nächste Schritte. Die Lernenden reflektieren, setzen Ziele und gestalten ihren Lernweg aktiv mit.

Don’t do more assessments, do more with assessment.

Anschlusshandlungen knüpfen direkt an den formulierten fachlichen und überfachlichen Kompetenzen an. Sie machen sichtbar: «Was kann ich schon?» und «Was ist mein nächster Schritt?»

Folgende Punkte sind bei Anschlusshandlungen zu beachten:

Vielfalt der Formate

Es soll eine Vielfalt an Formaten genutzt werden, um den weiteren Lernprozess zu unterstützen. Dazu gehören beispielsweise Möglichkeiten zur Überarbeitung, individuelle Übungen, Reflexion der Lernstrategien sowie Fehleranalysen. Ergänzend können auch Peer-Gespräche über das Lernen, schriftliche und mündliche Selbstreflexion sowie Gespräche zwischen Lehrperson und Lernenden eingesetzt werden.

Weitere Lernschritte individuell festlegen

Es sollen weitere Lernziele als Grundlage für die individuelle Lernplanung genutzt werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen persönliche Ziele formulieren und konkrete nächste Schritte festlegen, zum Beispiel in Form eines Lernplans, eines Portfolioeintrags oder einer mündlichen Zielvereinbarung.

Rückmeldungen sollen gezielt eingebunden werden, sodass die Lernenden ihren aktuellen Lernstand einordnen und daraus konkrete Handlungsschritte ableiten können.

Lernentwicklung sichtbar machen
Es soll ermöglicht werden, dass die Lernenden ihre Fortschritte dokumentieren, zum Beispiel mit einem Lerntagebuch, Audio- oder Videoaufnahmen, Portfolioelementen oder grafischen Darstellungen. Dadurch wird die eigene Entwicklung nachvollziehbar, was Motivation stärkt und die Reflexion über den Lernprozess erleichtert.
Transfer anregen

Es soll ermöglicht werden, dass die Lernenden reflektieren, wie sie Gelerntes in anderen Kontexten anwenden können, zum Beispiel mit gezielten Transferfragen, Verbindungen zu Alltagssituationen oder fächerübergreifenden Bezügen. Dadurch wird die Bedeutsamkeit des Gelernten gestärkt und die nachhaltige Verankerung von Wissen unterstützt.

Schüler*innen–Eltern–Kommunikation
Es soll sichergestellt werden, dass die Lernenden selbst wissen, was im Lern- und Beurteilungsprozess von ihnen erwartet wird. Darauf aufbauend soll die Kommunikation mit den Eltern und Erziehungsberechtigten gestaltet werden. Um Transparenz zu schaffen, kann das Beurteilungssystem am Elternabend vorgestellt werden.

Eine geeignete Möglichkeit zur Einbindung der Eltern kann ein Portfolioordner sein, in dem die Lernenden Rückmeldungen, Beurteilungen, Projekte und weitere Arbeiten sammeln. Wird dieser Ordner regelmässig nach Hause gegeben, erhalten die Eltern einen klaren Einblick in den Lernprozess und Lernstand ihres Kindes.

Darüber hinaus bieten sich pro Quartal niederschwellige Gelegenheiten für persönlichen Austausch an, beispielsweise durch Ausstellungen, Museumsrundgänge, Präsentationen oder ein Gedichtekaffee. Solche Formate fördern die Beziehungspflege und ermöglichen einen kontinuierlichen Dialog mit den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten.

Differenzierung / Endbeurteilung

Die Endbeurteilung soll transparente Kriterien enthalten, die verschiedene Anforderungsniveaus klar sichtbar machen. Sie orientiert sich an den Vorgaben von DVBS Art. 23 und unterscheidet zwischen Grundansprüchen und Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Durch abgestufte Levels (z. B. teilweise erfüllt, erfüllt) wird deutlich, auf welchem Niveau die Lernenden Leistungen erbringen.

So wird nachvollziehbar, wie die erreichten Kompetenzen zur Notengebung führen.

Zyklus 2
Level
Beurteilungs-stufe
Bedeutung DVBS Art.23
Note

Level 1

erfüllt

löst Aufgaben mit Grundansprüchen zureichend

4.0

Level 2

teilweise erfüllt

löst Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeits-grad teilweise erfolgreich

5.0

Level 3

erfüllt

löst Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeits-grad durchwegs erfolgreich

6.0

Zyklus 3: Realniveau
Realniveau
Beurteilungs-stufe
Bedeutung DVBS Art.23
Note

Level 1

erfüllt

löst Aufgaben mit Grundansprüchen zureichend

4.0

Level 2

teilweise erfüllt

löst Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeits-grad teilweise erfolgreich

5.0

Level 3

erfüllt

löst Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeits-grad durchwegs erfolgreich

6.0

Zyklus 3: Sekundarniveau
Realniveau
Beurteilungs-stufe
Bedeutung DVBS Art.23
Note

Level 1

erfüllt

löst Aufgaben mit Grundansprüchen zureichend

4.0

Level 2

teilweise erfüllt

löst Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeits-grad teilweise erfolgreich

5.0

Level 3

erfüllt

löst Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeits-grad durchwegs erfolgreich

6.0

Projekt / Kontakt

Diese Umsetzungshilfe entstand im Rahmen des Innovationspoolprojekts «Kompetenzorientierte Beurteilungsanlässe ohne Noten». Am Projekt beteiligt waren:

unter Mitwirkung von Lehrpersonen der Zyklen 2 und 3: Virginie Bigler, Leonie Stalder, Jeanine Geering, Jasmine Niederhauser, Anina Scheidegger.

CC BY 4.0 DigiLeB-WebseiteDigital Learning Base, University of Teacher Education Bern

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