Digitale Transformation

Digitale Transformation bezeichnet die gesellschaftliche Umgestaltung auf Basis digitaler Medien. Digitale Medien erweitern die Möglichkeiten der Kommunikation und der Zusammenarbeit massiv. Diese neuen Möglichkeiten betreffen alle Bereiche der Gesellschaft – auch das Erziehungswesen und Bildungssystem. Die digitale Transformation sowohl als Bedrohung, als auch Chance wahrgenommen. Die Auseinandersetzung mit früheren Leitmedienwechseln hilft, den Transformationsprozess besser zu verstehen und mögliche Gestaltungsräume zu erkennen.

Digitale Transformation

Theoretische Perspektive

Die digitale Transformation kann man aus verschiedenen theoretischen Perspektiven beobachten und beschreiben. In der Digital Learning Base (DigiLeB) arbeiten wir mit einem Theorieansatz, der in der systemtheoretischen Medientheorie entwickelt wurde. Ihm liegt die These zugrunde, dass die Einführung eines neuen Leitmediums zur Umgestaltung der Struktur- und Kulturformen der Gesellschaft und in Institutionen wie Hochschulen und Schulen sowie in Interaktionen wie Lehre und Unterricht führt. Diese Arbeitshypothese hilft, die digitale Transformation in einem gesellschaftlichen Kontext zu verorten und die Konsequenz für die PHBern und die Lehre besser einordnen zu können.

Leitmedienwechsel

Jeder Leitmedienwechsel kündigt eine neue Medienepoche an. Vergegenwärtigen wir uns den Leitmedienwechsel von Schrift auf Buchdruck, so gewinnen wir einen Eindruck der historischen Dimensionen, die mit ihm einhergingen: Neben der Reformation wurde die Einführung und Etablierung des Buchdrucks von drei weiteren Revolutionen begleitet, nämlich der demokratischen, industriellen und pädagogischen Revolution.

Mit der pädagogischen Revolution hat sich das moderne Erziehungssystem herausgebildet und darin haben sich das Schul- bzw. Hochschulsystem mit ihren je spezifischen Struktur- und Kulturformen ausdifferenziert. Die Strukturformen haben nicht nur die Verhaltenserwartungen zwischen Lehrenden und Lernenden, sondern auch deren Erwartungen hinsichtlich der zu vermittelnden Kompetenzen und der zeitlichen Abläufe stabilisiert. Mit den Kulturformen haben sich die pädagogischen Grundwerte der modernen Gesellschaft und damit auch das didaktische Selbstverständnis der Dozierenden gefestigt.

Medienepochen
Leitmedienwechsel
Gemäss der Hypothese des Leitmedienwechsels hat das Aufkommen der mündlichen Sprache die tribale Gesellschaft hervorgebracht. Die Einführung der Schrift hat die antike Gesellschaft geprägt. Und die Erfindung des Buchdrucks und der elektronischen Medien (Radio, Kino, Fernsehen) stehen für die Herausbildung der modernen Gesellschaft. Das Leitmedium Computer wird gegenwärtig als Metapher für die nächste Medienepoche aufgefasst. In diesem Zusammenhang wird oft auch von der «Nächsten Gesellschaft» gesprochen.

Da die Einführung eines neuen Leitmediums aufgrund der neuen Möglichkeiten des Kommunizierens und Zusammenarbeitens die angestammten Struktur- und Kulturformen aufbricht, wird ein Leitmedienwechsel von der Gesellschaft zuerst als Katastrophe beobachtet. Eine Medienkatastrophe dauert so lange an, bis sich neue Struktur- und Kulturformen herausgebildet haben, die Erwartungen und Grundwerte in der Gesellschaft neu stabilisieren.

Eine neue Medienepoche löst die vorangegangenen Epochen nicht vollständig ab. Sie überlagert und dominiert deren Struktur- und Kulturformen. Deshalb werden wir es auch in der Nächsten Gesellschaft nach wie vor mit Strukturformen des tribalen Stammes, der antiken Schichten und der modernen Funktionssysteme (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Bildung etc.) zu tun haben. Diese führt dazu, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse immer komplexer werden.

Der aktuelle Leitmedienwechsel spiegelt diese Komplexitätssteigerung beispielsweise in Diskussionen über kulturelle Vielfalt und Identität sowie über die Auswirkungen von Künstliche Intelligenz auf die Strukturen des Lehrens und Lernens.

Beim Leitmedienwechsel vom Buchdruck auf Computer haben wir es mit einer Besonderheit zu tun, die einmalig in der bisherigen Menschheitsgeschichte ist: Einerseits können wir den Computer –wie Schrift und Buchdruck – als Verbreitungsmedium auffassen. Andererseits können wir ihn aber auch als quasiautonome Maschine auffassen, die sich mit ihren Algorithmen aktiv an Kommunikation und damit auch an Lehr- und Lernprozessen beteiligt.

Computer als Verbreitungsmedium

Das Internet als weltweiter Verbund von Computern unterscheidet sich von herkömmlichen Leitmedien durch folgende Punkte:

  • Raum: Es überbrückt Distanzen und schafft ortsübergreifende Kommunikationsräumen.
  • Zeit: Es beschleunigt die Übertragung von Daten und schafft eine zeitlose Zeit.
  • Reichweite: Es erweitert die Zahl der adressierbaren Nutzerinnen und Nutzer massiv.
  • Permanenz: Es verfügt über schier unendliche Speicherkapazitäten.
  • Zugänglichkeit: Es ermöglicht den instantanen Zugang zu Wissen und Informationen.
  • Kosten: Es senkt die Kosten bei der Verbreitung von Daten und Informationen.
  • Konnektivität: Es vernetzt weltweit Menschen, Maschinen und Dinge.
  • Partizipation: Es erhöht die Chancen auf Teilnahme an Kommunikationen und Kollaboration.

Damit ermöglicht das Internet neue Formen der Kommunikation und Kollaboration, welche auch die Lehr- und Lernformen an Hochschulen und Schulen verändern. So können die Lehre und der Unterricht vor Ort durch Lerngelegenheiten in ortsübergreifende Kommunikationsräumen ergänzt werden. Lehrende und Lernende nutzen diese Gelegenheiten gleichzeitig und gemeinsam oder zeitlich versetzt und individuell. Entsprechende Struktur- und Kulturformen sind sich gegenwärtig erst am Ausbilden.

Computer als quasiautonome Maschine

Computer mit selbstlernenden Algorithmen können wir als quasiautonome Maschinen auffassen. Im Unterschied zu trivialen Maschinen, bei denen auf einen bestimmten Input immer der gleiche Output erfolgt, ist der Output einer nicht-trivialen bzw. quasiautonomen Maschine nicht vorhersehbar. Typische Merkmale solcher Maschinen sind:

  • Kapazität: Sie sammeln eine grosse Menge von Nutzerdaten.
  • Effizienz: Sie verarbeiten diese Datenmengen in kürzester Zeit.
  • Muster: Sie identifizieren in diesen Datenmengen statistische Muster.
  • Vergleichen: Sie vergleichen individuelle Nutzerdaten mit Daten anderen Nutzern.
  • Personalisierung: Sie passen ihre Outputs den individuellen Nutzern an.
  • Quasiautonomie: Sie finden eigene Wege zur Lösung von Aufgaben.

Quasiautonome Maschinen prägen unseren Alltag immer mehr. Als «Intelligente persönliche Assistenten» in Smartphones oder Smart Homes beispielsweise akzeptieren wir sie als Kommunikationspartner und nutzen ihre Dienste. Ihr Einsatz wird zusehends auch im didaktischen Kontext diskutiert, beispielsweise im Bereich der «Learning Analytics», als «Intelligente Persönliche Lernassistenten» oder in Form von «Chatbots» als Dialog- und Kollaborationspartner.

Liegt der Fokus der digitalen Transformation in Hochschulen und Schulen gegenwärtig auf dem Einsatz von Computern als neue Verbreitungsmedien, wird deren möglicher Einsatz als quasiautonome Lernassistenten in naher Zukunft noch einiges zu reden geben.

Digitale Transformation als soziokulturelle Evolution


Die digitale Transformation folgt keiner linear-kausalen Logik. Das heisst, wir können sie nicht planen, steuern und kontrollieren. Aber wir können eine Umgebung schaffen, in der Neues entstehen kann. Dabei kann es hilfreich sein, die digitale Transformation als soziokulturelle Evolution zu verstehen, in der sich beim Einsatz digitaler Medien in einem rekursiven Prozess von Variation, Selektion und Restabilisierung neue Struktur- und Kulturformen herausbilden.

Für die Lehre und den Unterricht bedeutet dies, dass Lehrende zusammen mit Lernenden technologiegestützte didaktische Szenarien erkunden und Erfahrungen sammeln sollten. Dabei gibt es weder ein Richtig noch ein Falsch. Zentral ist das gemeinsame Lernen aus Lösungen, die funktionieren, und aus Erprobungen, die schiefgelaufen sind.


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