Künstliche Intelligenz in Lehre und Unterricht: Interview mit Nina Ehrlich und Oliver Käsermann, Fachbereich Deutsch

Künstliche Intelligenz in Lehre und Unterricht: Interview mit Nina Ehrlich und Oliver Käsermann, Fachbereich Deutsch

Künstliche Intelligenz kreiert auf Befehl Texte, Übersetzungen und Bilder. Welche Impulse kann dies Lehre und Unterricht geben? Darüber sprechen wir mit Dozierenden aus verschiedenen Fachbereichen. Diesmal geht es um KI-unterstütztes Schreiben und dessen Auswirkungen auf den Fachbereich Deutsch und die Zukunft schriftlicher Leistungsnachweise.

Nina Ehrlich und Oliver Käsermann sind Dozierende im Fachbereich Deutsch am Institut Sekundarstufe I der PHBern. Hinweis: Das Interview wurde am 21.12.2022 geführt.

Digital Learning Base: Am 30. November 2022 wurde ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ist seither ein grosses Thema. Habt ihr bereits mit ChatGPT oder anderen KI-Schreibassistenten gearbeitet? 

Nina Ehrlich: Ich habe unter anderem AIWriter ausprobiert, einen KI-assistierten Textgenerator. Dabei habe ich die Keywords so gewählt, dass die künstliche Intelligenz Informations- und Reflexionstexte produziert, wie sie auch von Studierenden im Studium verlangt werden. Die Ergebnisse waren erstaunlich gut. Sie ähnelten durchaus dem, was Studierende auch schreiben würden.

Oliver Käsermann: Ich bin der Thematik anfangs Dezember in einem Artikel im Bund begegnet und habe anschliessend selbst probiert, künstliche Intelligenz Gedichte schreiben zu lassen. Kürzlich habe ich auch mit literaturwissenschaftlichen Themen bei ChatGPT experimentiert. Es ist faszinierend zu sehen, wie die KI Informationen und Versatzstücke zusammensucht und zu gut formulierten Sätzen formt. ChatGPT ist ja durchaus eloquent. Aber es ist auch erkennbar, dass die KI bei weniger „populären“ Themen an ihre Grenzen kommt. Insofern haben wir im Team eine interessante Dynamik: Nina hatte eher die Haltung: "Schau mal, was diese KI alles kann." Ich hatte den Reflex zu testen, was sie alles nicht kann.

Was löst diese Konfrontation bei euch als Deutsch- und Schreibdozierende aus?

Nina: Ich finde es faszinierend zu sehen, welche Möglichkeiten sich für Schreiber*innen ergeben. Dabei geht es mir nicht so sehr darum, dass man fertige Texte erhält und nichts mehr selbst tun muss. Aber die Perspektive des KI-assistierten Schreibens ist vielversprechend. KI ist potenziell eine wahnsinnige Hilfe: Warum muss ich etwa noch eine Zusammenfassung oder ein Exzerpt machen – also typische Hilfstexte –, wenn die KI dies machen kann?

Ich finde aber auch die grosse Aufregung um das Thema spannend. Schliesslich stört es uns nicht, wenn uns die KI beim Einparken hilft. Auch in der Textproduktion arbeiten wir ja schon ganz selbstverständlich mit digitalen Hilfsmitteln, mit Rechtschreibprogrammen, Übersetzungsdiensten und so weiter. Aber wenn es um den künstlerischen oder kreativen Prozess geht, folgt plötzlich der Aufschrei: "Ich bin trotzdem wichtig!" Natürlich wird die Idee von Originalität an sich infrage gestellt von solchen Programmen. Aber man sollte sie dennoch zunächst einmal einfach als Instrumente sehen, die man nützen kann.

Bilder erstellt von der KI Midjourney. Die Vorgaben lauteten, von links: "Goethe as a happy 50s style robot", "Schiller as a 70s style robot" und "Kleist as a robot on a Soviet propaganda poster".

Bilder erstellt von der KI Midjourney. Die Vorgaben lauteten, von links: "Goethe as a happy 50s style robot", "Schiller as a 70s style robot" und "Kleist as a robot on a Soviet propaganda poster".

Oliver: Bei mir löst ChatGPT auf verschiedenen Ebenen etwas aus. Auf einer rein persönlichen Ebene kenne ich die von Nina beschriebene Reaktion. Ich frage mich plötzlich: "Was wird jetzt alles übernommen oder sogar ersetzt durch die künstliche Intelligenz? Wie weit ist das noch Unterstützung und inwiefern ein Problem?"

Auf der anderen Seite sehe ich auch den schulischen Kontext. Insbesondere bei Leistungsnachweisen stellen sich viele offene Fragen. Die wichtigste ist: Was sollen die Schülerinnen und Schüler wirklich leisten, was will ich eigentlich überprüfen? Gut, sie sollen "Texte formulieren" können, aber in welcher Form ist diese Forderung künftig noch angebracht?

Textkompetenz wird zweifelsohne wichtig bleiben, aber was diese umfasst, das verschiebt sich durch die KI. Dort sehe ich auch eine Chance: Schreibkompetenz kann künftig nicht mehr einfach heissen, grammatikalisch korrekte, kohärente Sätze zu schreiben. Denn dort unterstützt uns die künstliche Intelligenz.

Deutschdidaktiker wie Philippe Wampfler argumentieren, dass ChatGPT und Co. der Todesstoss einer Aufsatzdidaktik sind, die in der Fachdidaktik schon länger verpönt, in der Praxis aber noch gelebt wird: Das kontext- und zweckfreie, aber bewertete Schreiben über beliebige Themen. Wie seht ihr das?

Nina: In einer zeitgemässen Schreibdidaktik geht man nicht davon aus, dass ein Text einfach hingeschrieben wird und dann "da ist". Es gibt vielmehr mehrere Schreibphasen. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass die künstliche Intelligenz in der Planungsphase sinnvoll eingesetzt wird, selbst bei einem Thema wie: "Was habe ich in den Ferien gemacht?" Man könnte ja die KI mit den Erlebnissen füttern und weiterarbeiten mit dem, was sie herausgibt. In einem solchen Schreibprozess ginge es dann stark darum, sich den KI-generierten Text "zu eigen" zu machen.

Ich erwarte aber nicht, dass sich solche Schreibmethoden in der Schule rasch durchsetzen. Wenn man die Thematik weiterdenkt, muss man zwar zum Schluss kommen, dass Technologien wie ChatGPT die Schreibvermittlung in der Schule verändern werden. Aber solche Prozesse dauern.

Rechtschreibprogramme etwa existieren ja auch seit Langem, sind aber noch nicht wirklich angekommen an den Schulen. Orthografie etwa wird nur selten unterstützt durch technische Mittel, was durchaus merkwürdig ist. Die Technologie ist im Alltag allgegenwärtig, da kann es eigentlich nicht das Ziel sein, sie aus Schulen herauszuhalten.

Bilder erstellt von der KI Midjourney. Die Vorgabe lautete: "graffiti mural of a robot writing on a typewriter on a brickwall”.

Bilder erstellt von der KI Midjourney. Die Vorgabe lautete: "graffiti mural of a robot writing on a typewriter on a brickwall”.

Oliver: Ich denke auch, dass KI-assistiertes Schreiben zwangsläufig zum Thema in der Schule werden muss. Entscheidend ist darum, sich gut zu überlegen, welche Hilfsmittel man wie einsetzt.

Nehmen wir als Beispiel den Bericht über die Ferien: Die Idee, die Planungsphase via KI zu unterstützen, ist grundsätzlich sinnvoll, wenn es primär darum geht, "einen guten Text zu schreiben". Beim Schreiben findet aber noch mehr statt als das Verschriftlichen einer mündlichen Erzählung. Als Schülerin oder Schüler habe ich tausend Sachen erlebt. Wenn ich einen Text darüber schreiben muss, fange ich an zu selegieren, zu ordnen – meine Ferien zu reflektieren. Das sind Prozesse, die die Konstruktion einer eigenen Identität und Biografie fördern. Die kann man nicht an die künstliche Intelligenz auslagern, auch wenn sie grundsätzlich natürlich in der Lage wäre, einen Text oder sogar einen Lebenslauf zu schreiben, wenn man sie mit Ereignissen "füttert".

Selbst wenn die künstliche Intelligenz an der Schule etabliert ist, muss es also Momente geben, in denen die Lehrperson KI bewusst weglässt. Das bietet sich dort an, wo man nicht produktorientiert arbeitet, sondern prozessorientiert. Um beim Beispiel des "Ferientextes" zu bleiben: Als Minimum müsste man die Schülerinnen und Schüler anregen, zu reflektieren, was die KI geschrieben hat und wie dies mit der eigenen Erinnerung zusammenpasst.

Man kommt immer auf denselben Punkt: Man muss die KI bewusst einsetzen und darf das eigene Denken nicht ausschalten.

Nina: Ich finde die Haltung konstruktiv: "Wir als Menschheit haben dieses Werkzeug entwickelt, um weiterzukommen. Schauen wir, wie wir es sinnvoll einsetzen, um uns weiterzuentwickeln."

Diverse Stimmen argumentieren bereits, dass die Idee des schriftlichen Leistungsnachweises – bis hin zur BA- und MA-Arbeit – grundsätzlich überdacht werden muss. Auch das Konzept des Plagiats steht im Zeitalter von ChatGPT und Co. zur Debatte. Was sind eure Gedanken dazu?

Nina: Dies muss diskutiert werden. Ich persönlich denke, dass es nur bedingt sinnvoll ist, mit grossem Aufwand Plagiate aufzuspüren oder zu identifizieren, wo Studis mit KI gearbeitet haben. Die Studierenden sollen einfach deklarieren, welche Assistenten sie genutzt haben. 


Letztlich sind dies Hilfsmittel, die ihnen nun mal zur Verfügung stehen. Wir sollten eher davon ausgehen, dass die Studis diese nutzen und uns überlegen, was wir mit der neuen Situation anfangen. Aber auch, wie wir den Studierenden beibringen, die Werkzeuge sinnvoll zu nutzen.
Bilder erstellt von der KI Midjourney. Die Vorgaben lauteten, von link: "historical photograph of Marie von Ebner-Eschenbach writing on a desktop computer", "aquarell portrait of Annette von Droste-Hülshoff as a robot, writing on a desktop computer", "historical photograph of bettina von arnim writing on a computer, testp”.

Bilder erstellt von der KI Midjourney. Die Vorgaben lauteten, von links: "historical photograph of Marie von Ebner-Eschenbach writing on a desktop computer", "aquarell portrait of Annette von Droste-Hülshoff as a robot, writing on a desktop computer", "historical photograph of bettina von arnim writing on a computer, testp”.

Oliver: Auch hier ist der Vergleich mit Rechtschreibprogrammen aufschlussreich. Es gibt diese Helfer seit Langem – und dennoch erhalten wir an der PH viele Texte mit Orthografiefehlern. Offenbar wissen nicht alle Studierenden, wie man mit Rechtschreibprogrammen richtig umgeht, wie man die Korrekturvorschläge interpretiert und so weiter.

Nina: So oder so müssen wir uns auch als Hochschule fragen, welche Kompetenzen wir eigentlich überprüfen wollen. Ist es wirklich sinnvoll, von den Studierenden weiterhin zu verlangen, dass sie so viele stark standardisierte Texte schreiben? Diese Frage stand schon vor den KI-Assistenten im Raum, aber die Überlegungen werden nun beflügelt: Was ist heute noch eine intelligente Form der Kompetenzüberprüfung?

Es wird zweifelsohne mehr mündliche Formate geben. Man muss stärker mit den Studierenden darüber diskutieren, was sie produzieren wollen, welche Überlegungen dahinterstecken etc.

Oliver: Man muss sich im Hinblick auf schriftliche Arbeiten im Studium immer fragen: Was ist die Funktion dieser Texte? Letztlich geht es darum, das Denken weiterzuentwickeln, sich mit Gedanken auseinanderzusetzen, das Lernen voranzutreiben.

Nina: Wir wollen letztlich ja, dass die Studierenden denken und nicht einfach produzieren.

Oliver: Und das nimmt ihnen die KI nicht ab.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Wie werdet ihr künftig KI-Schreibassistenten nutzen? Habt ihr entsprechende Ideen oder Vorsätze?

Nina: Ich möchte auf jeden Fall noch weiter experimentieren mit diesen Werkzeugen.

Oliver: Ich werde die Werkzeuge künftig sicher auch häufiger benutzen. Ich kann mir etwa vorstellen, dass ich künftig das Synonymwörterbuch weniger nutzen werde. Stattdessen möchte ich schauen, was mir ChatGPT vorschlägt an Umformulierungen, um Wortwiederholungen zu vermeiden.

Was ich auch nutze, ist eine KI-assistierte Diktierfunktion: Ich spreche meine Annotationen beim Lesen von Büchern ein und kann mit dem Resultat dann weiterarbeiten.

Aber ganz ehrlich: Komplette Texte werde ich nicht von der KI schreiben lassen. Es gibt Dinge, bei denen ich mir sage: "Die mache ich lieber selbst." Man kann ja durchaus einen Butterzopf kaufen, aber ich habe Freude daran, ihn selbst zu backen. Und das gilt für mich auch fürs Schreiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

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