Kann künstliche Intelligenz (bereits heute) die Lehre umkrempeln?

Kann künstliche Intelligenz (bereits heute) die Lehre umkrempeln?

Künstliche Intelligenz kann einfache Textvorgaben umwandeln in ansprechende Bilder, Texte und Übersetzungen. Und: Diese Technologie ist zunehmend für jede und jeden zugänglich. Das hat etwas von Magie. Aber auch das Potenzial, Unterricht und Lehre in verschiedenen Fächern neue Impulse zu geben.

Künstliche Intelligenz ist zweifelsohne das Boomthema, wenn von der digitalen (Bildung-)Zukunft gesprochen wird. Vieles ist zugegebenermassen noch ... Zukunftsmusik. Doch ein Fortschritt ist in den letzten Monaten unübersehbar geworden: Die Kreation von Texten und Bildern dank "Machine Learning" – und die Verfügbarkeit entsprechender Dienste für ein grosses Publikum.

In aller Kürze: Wie funktioniert "Machine Learning"?

Dienste, die mit künstlicher Intelligenz Texte schreiben oder Bilder erstellen, setzen auf "Machine Learning". Basis des Lernprozesses ist eine umfangreiche Bibliothek bzw. Datenbank. Die Maschinen analysieren anhand programmierter Algorithmen eine Unzahl von Texten oder Bildern sowie deren Beschreibung. Daraus leiten sie selbstständig Muster ab. Und genau entlang dieser Muster und Regelmässigkeiten entwirft die künstliche Intelligenz auf Befehl der Nutzer:innen neue Bilder oder Texte.

Wie die Nutzer:innen auf diese reagieren, ist Teil des Lernprozesses: Künstliche Intelligenz ist sehr gut darin, endlos Texte und Bilder zu produzieren – aber eher schlecht darin, deren Qualität zu bewerten. Deshalb analysieren die Dienste, ob die Nutzer:innen das Resultat als gelungen betrachten oder es ablehnen. Daraus lernen sie für künftige Aufträge.

Diese Lernschleife ist im Prinzip endlos. Je besser die Qualität des Outputs, desto häufiger wird ein Dienst genutzt. Und je häufiger er genutzt wird, desto besser die Qualität des Outputs. Dienste, die auf "Machine Learning" setzen, werden dadurch potenziell immer effizienter.

Für den Blog der Digital Learning Base behandeln wir dieses Thema auf zwei Ebenen: In diesem ersten Beitrag zeigen wir auf, was möglich ist. Jetzt, hier, für alle, ganz konkret.

In einer Mini-Serie von Beiträgen werden wir ab nächster Woche dann Dozierende der PHBern interviewen. Mit ihnen überlegen wir, inwiefern diese Innovation das Potenzial hat, Lehre und Unterricht in diversen Fachbereichen neu auszurichten.

Der Aufsatz aus der Kiste: Texte schreiben mit Künstlicher Intelligenz

Es klingt wie der Traum aller, für die "Schreibblockade" kein Fremdwort ist: Ein Computer, der willig einen kurzen Auftrag entgegennimmt – und unverzüglich einen adressatengerechten Text in beliebiger Länge ausspuckt.

Genau das verspricht eine Reihe von kommerziellen, KI-gestützten Schreibassistenten. BetterWriter.ai etwa will Hilfe bieten bei einer Vielzahl von Textformen. Im Angebot sind nicht nur fixfertige Essays und Amazon-Rezensionen. Der Service kann als Sparringpartner etwa auch Überschriften vorschlagen, Texte kürzen oder eine Liste mit Aufzählungszeichen in einen Fliesstext umwandeln.

Eine Auswahl von Optionen, die BetterWriter.ai den Nutzer*innen bietet.

So etwas will getestet werden: Kann mir BetterWriter die Arbeit abnehmen und einen Blogpost für mich schreiben? Als Textinput gebe ich vor: "A blog post of about 2000 characters on the following topic: How will the use of artificial intelligence revolutionize how we train future teachers in our universities of education?"

Ein intendiertes Zielpublikum und einen "Tonfall" kann ich ebenfalls angeben. (Ich wähle: "Überzeugend".) Aus diesem Input bastelt BetterWriter folgenden Einstiegsabsatz:

Wie nutzen Pädagogische Hochschulen KI, um die Lehrerausbildung zu revolutionieren?
Lehrerinnen und Lehrer sind ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, ihre Ausbildung zu verbessern und neue, innovative Lehrmethoden zu erlernen. Während Smartphones den Schülern neue interaktive Lernmöglichkeiten bieten, ist der neueste Durchbruch in der Lehre die künstliche Intelligenz. Künstliche Intelligenz kann personalisiertes Feedback geben, die physischen Manifestationen des Lernens skalieren und Lektionen mit einem Grad an Komplexität unterrichten, der vorher vielleicht nicht möglich war.

Das klingt naturgemäss etwas generisch, aber in mehrfachem Sinn doch auch vielversprechend.

Nach dem schnellen Erfolg folgt die Ernüchterung aber auf dem Fuss: Ein kompletter Blogpost lässt sich nicht ohne Arbeit haben. Und diese ähnelt der eines Tontechnikers: Auch wenn er die Musik nicht macht, muss er regeln und einpegeln, bis das Ergebnis stimmt. Dafür muss er nicht selbst ein virtuoser Musiker sein. Aber er muss sehr viel von Musik verstehen.

Auch bei der Arbeit mit BetterWriter ist ein Gespür für das intendierte Ergebnis unabdingbar. Zwar liefert der Service bereitwillig Textvorschläge noch und nöcher. Passt der aktuelle nicht, ist der nächste nur einen Klick entfernt. Die Qualität der Vorschläge bewerten und den besten auswählen müssen die Userin*innen aber selbst. Und es ist auch weitgehend an ihnen, Kohärenz in den Text zu bringen – BetterWriter denkt in diskreten Absätzen, deren Zusammenhang oftmals ziemlich lose ist.

Beim Schreiben eines Aufsatzes schlägt Betterwriter jeweils Abschnitte vor. Kohärenz hineinbringen müssen die User*innen (noch) selbst.

Nachbessern ist also notwendig. Oder anders: Für ein wirklich überzeugendes Ergebnis sind solide Text- und Anwendungskompetenzen seitens der User*innen im Moment noch unabdingbar.

Dieses im Moment ist allerdings entscheidend. Die Fortschritte sind rasant. (BetterWriter nutzt, wie viele Anbieter, die ständig weiterentwickelte Technologie GPT-3 als seine Basis.) Texte werden nur noch überzeugender werden, Abschnitte besser zusammenhängen.

Die schnellsten Entwicklungen sind im Übrigen gerade bei stark normierten Textgattungen zu erwarten. Je klarer die Vorgaben, desto einfacher ist es, diese einzuhalten. Während sich künstliche Intelligenz mit genuin kreativem Schreiben noch schwertut, kann BetterWriter bereits jetzt komplette Pro- und Kontra-Erörterungen abliefern. Und natürlich lassen sich Texte auch "umschreiben", um sie vor Plagiatcheckern zu verbergen, etwa.

Die Mittel dazu werden immer zugänglicher. Gegenwärtig schränken (fast) alle Anbieter ein, wie oft man dem Schreibassistenten Aufträge vergeben kann. Wer mehr will, muss zahlen. Mit wachsender Konkurrenz werden aber zweifelsohne auch komplett kostenlose Services zur Verfügung stehen.

Dienste wie BetterWriter bieten bereits heute ein Bild davon, wie maschinenassistiertes Schreiben aussehen kann. Ein Bild, das in absehbarer Zukunft auch Lernende im Kopf haben werden, wenn sie sich an Schreibaufträge machen. 

Fremdsprachenkompetenz auf Knopfdruck: KI und Übersetzungen

Etwas ist neben der technischen Anwendungskompetenz und dem Textgespür ebenfalls unumgänglich für die Verwendung von KI-gestützten Schreibassistenten: Solide Englischkenntnisse.

Entwickelt wird in englischer Sprache. Im Textkorpus, von dem die künstliche Intelligenz schreiben lernt, ist sie ohnehin vorherrschend. Input und Output funktionieren entsprechend am besten, wenn sie Englisch gehalten sind.

Wem die entsprechenden Kenntnisse fehlen, dem bleibt allerdings immer noch DeepL. Der webbasierte Übersetzer liefert in Sekundschnelle und kostenlos Texte, die die Fremdsprachkompetenzen fast aller User*innen mühelos übersteigen. (Auch der oben zitierte Abschnitt wurde mit DeepL aus dem Englischen übersetzt.)

Das hat sich herumgesprochen: Während Services wie BetterWriter Nischenprodukte sind, nutzen viele von uns bereits völlig selbstverständlich DeepL, etwa für die Übersetzung von Geschäftsbriefen oder -mails.

The future is now, zumindest bei Übersetzungsprogrammen. Was aber bedeutet es für den Fremdsprachenunterricht, wenn Lernende mühelos Zugang haben zu einem Werkzeug, das ganze Texte in Windeseile übersetzen kann? 

Wenn die Geisterhand den Pinsel führt: Bilderstellung durch KI

Die grösste Aufmerksamkeit in den letzten Monaten haben aber KI-gestützte Anwendung mit blumigen Namen wie Dall-E oder Midjourney genossen: Services, die Textvorgaben in Bilder, Grafiken und Piktogramme umsetzen können.

Bilder generiert mit Midjourney (links) und Dall-E (rechts). Vorgabe war: "Classroom of the future, group of three students collaborating on project, bright, photography, long shot, golden hour".

Als "Prompt" genügt schon ein einzelnes Wort. (Wer mag, kann auch ausführlichere Beschreibungen mit expliziten Bildgestaltungswünschen angeben.) Die künstliche Intelligenz macht den Rest: Vor unseren staunenden Augen entsteht eine Serie von Bildern, die eine mal mehr, mal weniger lose Interpretation der Vorgabe liefern. Folgendes Video zeigt diesen Prozess in Echtzeit:

Die Entstehung eines Bildes in Midjourney. Die Vorgabe lautete: "this is what being a teacher is all about".

Diese Entstehung von Bildern aus dem Nichts heraus hat zweifelsohne etwas Magisches.

Dabei birgt die Tatsache, dass die Bilder eben nicht aus dem Nichts entstehen, durchaus Sprengkraft: Wie alle Anwendungen von "Deep Learning" orientieren sich auch Dall-E, Midjourney und Co. an einer bestehenden Bibliothek – in diesem Fall von Bildern, Grafiken und Kunstwerken. Dass sich längst nicht alle Urheber*innen dieser "Vorlagen" darüber freuen, ungefragt zum Bestandteil des KI-Lernprozesses zu werden, ist eines der vielen Spannungsfelder, die die Verbreitung künstlicher Intelligenz mit sich bringt.

Indes: Für die Nutzer*innen ist die Verwendung der Services unverfänglich. Selbst dann, wenn der Auftrag sich an einem bekannten Kunstwerk oder einem Film orientiert.

Bilder generiert mit Midjourney (links) und Dall-E (rechts). Vorgabe war: "Film still of a teacher talking to two concerned parents, 'from Wong Kar-wai's "In The Mood for Love"(2000)". Midjourney ist deutlich näher bei der Ästhetik des Films.

Die "Roh-Ergebnisse" lassen sich mit KI-Hilfe weiter verfeinern. Wie genau, ist in bereits zur Verfügung stehenden "Leitfäden" ausführlich beschrieben. Oft haftet jedoch selbst mehrfach überarbeiteten Bildern noch etwas Künstliches an. Aber auch hier gilt: Die Grenze zwischen KI-generierten und menschlichen Kreationen wird, zumindest für das Laienauge, mehr und mehr verschwimmen. Mit der Konsequenz, dass man weniger denn zu Pinsel oder Grafiktablett greifen muss, um Bilder zu kreieren.

Auch hier stellt sich die Frage, welche Erwartungen dadurch bei Lernenden geweckt werden. Und wie Fächer, die sich der bildnerischen Gestaltung widmen, damit arbeiten können. 

Bilder generiert mit Midjourney (links) und Dall-E (rechts). Vorgabe war: "Bern University of Teacher Education".

Offene Fragen, offene Ohren

Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich durch die KI-unterstütze Kreation von Texten und Bildern? Welche Vorstellungen und Erwartungen an Textproduktion, an Übersetzungen oder Bildgestaltung werden dadurch (bei Lernenden) geweckt? Und ganz konkret: Können Tools wie Betterwriter, DeepL, Midjourney oder Dall-E eine Rolle in Lehre und Unterricht spielen? Jetzt ... oder in Zukunft?

Genau diese Diskussion möchten wir in einer Reihe von weiteren Blogposts führen, mit Dozierenden aus den Fachbereichen Deutsch, Englisch und Bildnerisches Gestalten. Natürlich ist die Diskussion aber bereits jetzt eröffnet – in den Kommentaren unter diesem Post, auf NiK oder in den Gängen und Büros.

Das vorläufige Schlusswort soll aber die KI haben. Nicht umsonst hat BetterWriter, nicht ganz ohne Eigeninteresse, einen nur allzu passenden Schlusssatz für diesen Post vorgeschlagen:

"Die Diskussion sollte sich darum drehen, wie KI das Lehren und Lernen revolutionieren wird, nicht wie sie es zerstören wird."

Links

  • Künstliche Intelligenz in Lehre und Unterricht: Interview mit Jonas Etter, Dozent für Bildnerisches Gestalten: Zweiter Teil der Serie. Diskutiert wird u.a., wie KI-unterstützte Bildgenerierung im Bildnerischen Gestalten produktiv genutzt werden kann.
  • YouWrite: Einen schnellen Einblick in KI-assistiertes Schreiben bietet YouWrite: Ganz ohne Registrierung können 10 "Prompts" eingegeben werden für eher rudimentäre Ergebnisse.
  • Open AI: Wer den "State of The Art" der KI-Texproduktion erleben will, kann kostenlos bei Open AI einen Account eröffnen. Der "Playground" ist eher anspruchsvoll in der Bedienung, bietet aber extrem umfassende Optionen. (Auch Vorgaben in Deutsch werden umgesetzt.)
  • Crayion: KI-Bildproduktion im Kleinen gibt es bei Craiyon. Die Resultate sind weniger ausgefeilt als bei den "grossen" Programmen. Dafür ist Craiyon kostenlos und ohne Anmeldung nutzbar.
  • Midjourney und Dall-E: Zwei der momentan am weitesten entwickelten Bildgeneratoren können kostenlos getestet werden. Eine Registrierung ist aber zwingend notwendig. (Bei beiden werden zudem nach einer gewissen Anzahl von "Prompts" Kosten fällig.)

  • Können Dozierende BetterWriter an der PH auch in der Pro – Version testen? Mir reichen die 2000 Wörter nicht für ein ausgiebiges Testen.

    • Hallo Urs, ich kann dir keine definitive Antwort dafür geben — am besten füllst du dafür den Softwarebereitstellungsantrag aus.

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